Obsessiv

In der heutigen Sonntagszeitung (Seite 9) berichtet mein Kollege Martin Suter, seit vielen Jahren USA-Korrespndent des Blatts, wie „obsessiv“ die amerikanischen Medin über den Trump-Prozess in New York berichten. Die grossen Tageszeitungen seien täglich voll mit Reportagen über Trumps Auftritte vor Gericht. Und die TV-Networks strahlten stundenlang Sondersendungen über den Anlass aus. Zum Glück hält sich in der Schweiz die Berichterstattung über das trumpsche Spektakel in Grenzen.

Das war bei Bill Clinton noch anders. Als sich der damalige USA-Präsident Ende der neunziger Jahre wegen seinen Eskapaden mit der Praktikantin Monika Lewinsky mit einem Impeachment konfrontiert sah, berichten auch die hiesigen Blätter täglich über jeden Winkelzug der republikanischen Gegner, über jede neue Enthüllung, über Hillary Clintons mutmassliche Reaktionen.

Als damaliger USA-Korrespondent der Basler Zeitung und weiterer Schweizer Blätter musste auch ich – angetrieben von TV-Berichterstattung – über jedes Detail der Affäre berichten. Die Flecken auf Monika Lewinskys blauem Kleid sollten ebenso thematisiert werden wie Clintons Spielereien mit Cigarren. Die Neugier der Schweizer Redaktoren und Lesenden kannte damals keine Grenzen. Sensationen trieben die Auflage in die Höhe. Meine regelmässigen Hinweise auf ein minimales Mass an Verhältnismässigkeit fruchteten wenig. Über kein anderes Thema habe ich während meiner USA-Zeit mehr Artikel geschrieben als über die Lewinsky-Affäre, die ja eigentlich eine Clinton-Affäre war.

Gut, dass es heute anders ist. Selbstverständlich ist es wichtig zu berichten, wie die verschiedenen Gerichtsverfahren gegen Trump den politischen Prozess der US-Wahlen beeinflussen. Entscheidend sind dabei aber die Ergebnisse und nicht, wann Trump wo welche Frau angefasst, bestochen oder verunglimpft hat. Wir haben heute wahrlich andere relevante Themen, über welche die Schweizer Medien berichten sollten.

Foto: Screenshot SZ Seite 9