Tag 13 und Schluss

Anfang April hatte ich das Postschiff gebucht. Nach dem Tod eines nahen Familienangehörigen, nach einem mehrmonatigen Kraftakt mit dem Theaterverein (inkl 12 Aufführungen) und einer grossen persönlichen Enttäuschung brauchte ich einen Tapetenwechsel, eine Abwechslung, eine Veränderung. Ich wollte zur Ruhe kommen, faulenzen und im Norden Skandinaviens Neues sehen und erleben. Die Hurtigruten waren schon immer ein Bubentraum.

Nie hätte ich mir träumen lassen, wie gut mir dieser Postschiffentscheid tun würde. Abwechslung pur: Ich war mir der Symbolik des Postschiffs nicht bewusst: Auf 5400 Seekilometern in über sechzig Häfen, die norwegische Küste rauf und runter, durfte ich Post „vertragen“ und Post „empfangen“, Skandinavien-Fans treffen, eine Sami-Familie besuchen, die russische Grenze hautnah erleben, historische Städte wie Bergen, Trondheim, Tromsø, Hammerfest besuchen, Rentierfleisch sowie Lachs essen, Apéros geniessen und neue Freunde kennenlernen.

Auf dem Postschiff glitten wir 24/7 über die Wasseroberfläche, manchmal wellig, manchmal flach, durch die Fjorde, vorbei an Siedlungen, an Fischerbooten, unter steilen Felswänden hindurch. Während die Trolls uns heimlich beobachteten, genossen wir die grüne Vegetation des norwegischen Südens und bestaunten später die Kargheit des arktischen Nordens, weit über den Polarkreis hinaus. Eine Woche lang ging die Sonne nicht mehr unter. Wir schwebten zwischen Tag und Nacht. Das Gefühl für Zeit und Raum kam mir für ein paar Tage gänzlich abhanden.

Erst am heutigen letzten Tag der Reise wurde ich mir bewusst, was ich in den letzten zwei Wochen für meine Seele, für mein Herz getan, in mich hineingehorcht habe und es einfach geschehen liess. Eine wunderbar mystische Erfahrung: Mein Körper ist seither ausgeruht, entstresst, mein Herz ist voll, ich bin entschleunigt und entspannt, habe physische und psychische Energie gesammelt und freue mich (hahaha) auf meine zweite Lebenshälfte. Es kommt mir vor, als hätte ich auf dieser Reise meinen 50. Geburtstag gefeiert.

Unwichtiges trat in den Hintergrund. Der Gesamtblick, das Rundumgefühl erhielt neue Facetten. Wie klein wir doch sind: Natur, Winde, Wellen, Buchten, Gestein, Traditionen sind so viel grösser als wir Menschen und waren lange vor uns da. Und sie werden noch da sein, wenn wir uns verflüchtigt haben. Das spürte ich stark zwischen den Klippen und Fjorden des Nordens.

Solche Gedanken, Gefühle und Übergänge taten mir gut. Ich habe wieder gelernt zu geniessen, zu träumen, auf das eigene Herz zu hören, Überraschungen zu erleben, die ohne Postschiff nicht möglich gewesen wären. Die Erfahrungen machten den Blick frei für die Zukunft: Die nächsten Traum-Ferien sind geplant. Die Bucketlist ist noch lang. Was gibt es schöneres, als zusammen zu reisen?

Als Projektleiter und Changemanager haben wir gelernt, dass die einzige Konstante in unserem Dasein und Schaffen die Veränderung ist. Offen sein für Überraschungen, sie annehmen, wenn sie da sind, in Bewegung bleiben, das Glück des Augenblicks zu geniessen.

Das hat mich das Postschiff gelehrt. Und dafür bin ich ihm ausserordentlich dankbar.

Bern, 14.6.24

2 Gedanken zu “Tag 13 und Schluss

  1. Lieber Troll Peer 😉

    Willkommen zurück in der Schweiz, (Geissen-) Peter!

    Eigentlich schade, dass dieses Abenteuer schon fertig ist … ich habe mich immer auf und über deine t(r)ollen Berichte gefreut. Deine täglichen Reiseberichte werden mir fehlen! (habe dieses Wort zuerst versehentlich auch ohne «R» geschrieben … also «Reisebe(r)ichte …. Irgendwie manchmal auch passend, oder 😉)

    Ich war noch nie so hoch im Norden oben… Christof bevorzugt den Süden. Immerhin bis Bergen habe ich es einmal geschafft, auch allein … und es hat mir sehr gefallen!

    Ja, das Schiff ist ein gutes Symbol für das Leben. Manchmal ist die See ruhig, mal wellig, mal stürmisch … Und wir mittendrin. Als Gast zuschauen, was die See, das Wetter mit uns macht. Der Kapitän wird’s richten. Das Postschiff fährt nach Plan auf einer vorbestimmten Route. Der Gast schaut ans Ufer hinüber, das vorbeizieht. Nicht immer können oder wollen wir anlegen und an Land gehen.

    Auch zu Hause bist du auf einem Schiff, auf deinem persönlichen Schiff …. Aber zuhause bist du der Kapitän. Du kannst etwas Gegensteuer geben, in ruhigere Gewässer fahren, dich entweder dem Wind entgegenstellen oder mit dem Wind segeln.

    «Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.» (Aristoteles)

    Auch vom Balkon deiner Wohnung siehst du ans Ufer hinüber, siehst du das Tram, die Autos, die Menschen, vorbeiziehen. Nicht immer kannst oder willst du anlegen und an Land gehen. Die Reiseroute ist auch vorbestimmt, aber du kannst doch Vieles bewirken, ändern, anpassen, selber entscheiden! Aber das «immer weiter» bestimmt unser Leben, bis es dann irgendwann mal heisst: Aussteigen!

    Schön, dass dir diese Reise in den hohen Norden so gut getan hat!!

    Willkommen zurück im Theater der Welt! Und viel Freude heute Abend in Einsiedeln beim Welttheater!

    Bis bald einmal wieder

    Regula

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